Reden

Rede von Kai Gerfelder zur Verleihung des Hessischen Verdienstordens an Dieter Jahn am 23.11.2017

„Sobald der Dienst am Staat aufhört, die hauptsächlichste Angelegenheit der Bürger zu sein, und diese vorziehen mit der Geldbörse statt mit ihrer Person zu dienen, ist der Staat seinem Zerfall schon nahe.“

Sehr geehrter Landtagsvizepräsident Lortz,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Metz,
sehr geehrter Herr Landrat Quilling,
sehr verehrte Frau Bürgermeisterin Disser,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
lieber Dieter Jahn,

Bereits im Jahr 1762 hat Jean-Jacques Rousseau in seinem bedeutsamsten Werk „der Gesellschaftsvertrag“ mit diesen Worten beschrieben, welch‘ unverzichtbare Bedeutung bürgerschaftliches Engagement für eine intakte Zivilgesellschaft hat. Und gleichzeitig verdeutlicht, dass ein intakter, demokratisch verfasster Staat der Moderne nicht alleine von seinen finanziellen Ressourcen lebt, sondern vom Mitwirken seiner einzelnen Mitglieder.

Jahn_Verdienstorden

Foto (Erhard Bonifer): Kai Gerfelder und der Vorsitzende der Gemeindevertretung Dieter Jahn bei der Verleihung des Hessischen Verdientsordens am 23.11.2017

Es ist ist daher auch kein Zufall, dass heute hier mehrheitlich die Vertreter der Mainhäuser Zivilgesellschaft - also Ehrenamtliche aus Politik, Sport, Kultur und Wirtschaft - zusammengekommen sind, um der Ehrung eines ihrer Repräsentanten beizuwohnen. Eines Menschen, der sich durch außerordentliches bürgerschaftliches Engagement um Staat und Gesellschaft verdient gemacht hat. Es ist auch kein Zufall, dass die Türen dieses Bürgerhauses allen Bürgerinnen und Bürgern offensteht, um diese Auszeichnung zu verfolgen. Denn es handelt sich bei Dieter Jahn um einen der dienstältesten Interessenvertreter der Mainhäuser Bevölkerung in der Kommunalpolitik und über viele Jahre ersten Sachverwalter des Mainhäuser Souveräns.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Ehrenamtliches Wirken zieht sich wie ein Roter Faden durch das Leben von Dieter Jahn. Beweggründe mag es viele geben. Einer ist sicher die Tatsache, dass er zu jenen Kriegskindern gehörte, die ohne Vater aufwachsen mussten. Unter schwierigen Umständen und unter den Entbehrungen, die im Nachkriegsdeutschland bei vielen Halbwaisen zum Alltag gehörten, hat er es im Jahr 1961 trotzdem zur mittleren Reife geschafft. Und im Anschluss eine beachtliche Karriere beim Kreis Offenbach hingelegt, die eigentlich nur Akademikern vorbehalten ist.  - Stets begleitet vom Willen, dafür zu sorgen, dass es spätere Generationen besser haben sollten.

Meine Damen und Herren,
so verwundert es nicht, dass ausgerechnet die Deutsche Kriegsgräberfürsorge die erste ehrenamtliche Station im Leben von Dieter Jahn ausmacht. Von 1965 bis zum Jahr 2009 ist es ihm ein besonderes Anliegen gewesen die Erinnerungskultur zu pflegen und den Opfern der Nazidiktatur ein Andenken zu bewahren. Hierfür wurde er später mit der Medaille „Madonna von Stalingrad“ versehen. Gleichzeitig war das Interesse an der Demokratie und den staatlichen Mechanismen geweckt, das unseren Vorsitzenden der Gemeindevertretung bis heute nicht mehr loslässt.

„Weißt Du Kai, als wir junge Männer wurden, bin ich mit meinem Freund Werner zu den Sitzungen der Gemeindevertretung in Mainflingen gegangen. Da haben sich die Politiker vom Ort getroffen und beraten. Eigentlich haben wir überhaupt nicht richtig kapiert, worum es geht. Aber wir hatten das Gefühl, dass es wichtig ist.“

Mit diesen Worten hat mir Dieter Jahn vor einiger Zeit seine Ersten Begegnungen mit der Kommunalpolitik erläutert. An der Stelle geht ein besonderer Gruß an Werner Klein, der heute auch unser Gast ist. Und der heute beobachten darf, was so alles aus dem damaligen jugendlichem Leichtsinn entstehen kann.

Sozialdemokrat wurde Dieter Jahn schon als Achtzehnjähriger im Jahr 1963. Parteivorsitzender der SPD war damals übrigens Erich Ollenhauer und Bundeskanzler war tatsächlich noch Konrad Adenauer… Ausgestattet mit dem geschilderten Interesse und der entsprechenden Neugier führte der Weg dann ab 1972 auch unvermeidlich in die Gemeindevertretung der damals selbständigen Gemeinde Mainflingen.

Was viele zu diesem Zeitpunkt politisch noch nicht für möglich gehalten haben, geschah dann in relativ kurzer Zeit: 1977 - ich war gerade ein halbes Jahr alt - kam es im Rahmen der Gebietsreform zum Zusammenschluss der beiden Ortsteile Mainflingen und Zellhausen. Von den Meisten als „Zwangsehe“ wahrgenommen, bedurfte diese Vereinigung aber einer entsprechenden Moderation. Dieter Jahn seit 1974 schon „Erster Bürger“ der Gemeinde Mainflingen erhielt den Auftrag der Landesregierung die gemeinsame Gemeindevertretung als Staatsbeauftragter Vorsitzender bis zur Neuwahl zu leiten. Kurz danach wurde er von der gemeinsamen Mainhäuser Gemeindevertretung erneut zum Vorsitzenden gewählt.

Ich habe mir fest vorgenommen nicht all‘ jene Daten zu wiederholen, die bereits die Herren Staatsekretär Metz und Landtagsvizepräsident Lortz erwähnt haben. Aber ich denke dieser Sachverhalt ist schon eine große Besonderheit - wahrscheinlich sogar Einzigartigkeit - im Lande Hessen. Denn: Dieter Jahn bekleidet genau dieses Amt heute - vierzig Jahre später -zum wiederholten Male. Am 24. April 2006 - 32 Jahre nach seiner ersten Wahl und nach 25jähriger Unterbrechung – wurde er erneut mit dem Vertrauen ausgestattet, die Gemeindevertretung souverän und unparteiisch zu führen. Die einstimmige Wiederwahl zu Beginn der laufenden Wahlperiode zeugt von Respekt und Anerkennung aller Fraktionen in der Gemeindevertretung.

Es mutet nun schon fast wie Fügung an, dass ausgerechnet unter dem Vorsitz von Dieter Jahn vorgestern einstimmig von allen Mitgliedern der Gemeindevertretung entschieden wurde, künftig ein gemeinsames Rathaus zu errichten - und vierzig Jahre nach der Gebietsreform den Dualismus der Verwaltungsstandorte zu beenden.

Dass ihm ein hohes Maß an Respekt und Anerkennung im Laufe seines politischen Lebens zu teil geworden sind, liegt sicher auch an seinen persönlichen Eigenschaften. Ich habe Dieter Jahn als verbindlichen, aufrichtigen Mann kennen gelernt. Einen Menschen, der sich seiner Verantwortung bewusst, mit vollem Elan und in tiefer Überzeugung der ihm übertragenen Aufgaben widmet. Ich kenne kaum jemanden, der mit gleicher Akribie Sitzungsvorbereitungen trifft und der - nun auch in hohem Alter - immer noch höchstes Interesse daran hat, stets auf dem Laufenden zu bleiben. Vielleicht ist es der Ehrgeiz des früheren Leichtathleten Dieter Jahn, der ihn dabei stets antreibt und der fortwährende Wille zu beweisen, dass man im Leben etwas erreichen kann.

Gleichzeitig aber auch als Menschen mit hoher Empathie, jemanden der den Begriff Ehrgeiz nicht mit Ellenbogen gleichsetzt. Einen Menschen der hinter die Fassade schauen kann und in Krisen die richtigen Worte findet. Und jemanden der Menschen zusammenbringt, Kompromisse vorbereitet und widerstreitende Interessen ausgleichen kann. Einen echten Parlamentspräsidenten eben.

Übrigens: Dieter Jahn gehört nicht nur zu denen, die Organisation vom Schreibtische aus betreiben, sondern auch zu jenen, die die Ärmel hochkrempeln und unter hoher Risikobereitschaft Hilfe leisten, wo es nötig ist. So wurde er auch für die Organisation und Durchführung von Hilfstransporten in die Bürgerkriegsgebiete des Balkankrieges vom Kroatischen Roten Kreuz ausgezeichnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte an dieser Stelle aber auch erwähnen, dass mit derart hohem Engagement auch Entbehrungen verbunden sind. Vielleicht nicht in erster Linie für die engagierte Person selbst, aber sehr wohl für die Familie. Dieter Jahn wird im nächsten Jahr hoffentlich seine Goldene Hochzeit mit seiner Frau Irene feiern. Ich vermute, dass die Ehe nicht wegen, sondern eher trotz der zahlreichen Aktivitäten von Dieter Jahn 49 Jahre gehalten hat. Liebe Irene, ich denke ein großer Teil dieser Auszeichnung heute gilt deshalb auch Dir und sie gilt auch Eurer wunderbaren Tochter Alexandra und Eurem tollen Sohn Eric, die oft auf ihren Vater verzichten mussten, weil dieser in Sitzungen, Klausurtagungen oder auf Kongressen weilte.

Werte Gäste,
sie werden mit erlauben, dass ich zum Schluss ein paar persönliche Worte an Herr Jahn richte.

Lieber Dieter,
von den rund fünfzig Jahren Deines politischen Weges gehen wir nun etwas mehr als zwanzig Jahre gemeinsam. Du bist mir in dieser Zeit von Anfang an ein Mentor gewesen. Ein Lehrer, dem ich viel zu verdanken habe – aber sicher kein Schulmeister, weil Du mir schon zu Beginn stets auf Augenhöhe begegnet bist. Gerne erinnere ich mich an die Tage, an denen ich mit Rucksack und Parka von der Uni im Kreishaus einmarschieren durfte, um meine Fragen zur HGO zu stellen.

Gerne erinnere ich mich auch an die zahlreichen Kontroversen, die wir miteinander geführt haben. Und an die Auseinandersetzungen mit der politischen Konkurrenz. An Wahlkämpfe und Parlamentsdebatten - manchmal haben wir gewonnen, manchmal verloren.

Und ich erinnere mich gerne an die zahlreichen Gespräche - am liebsten auf Deiner Terrasse - in denen wir sowohl die politische Situation erörtert als auch die privaten Entwicklungen besprochen haben. Gespräche unter Genossen, geleitet von den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität! Gespräche unter echten Freunden, geleitet vom Interesse am Wohlergehen des Gegenüber! Manchmal auch in schwierigen persönlichen Lebenssituationen aber: Am besten bei einem Gerippten Äbbelwoi frisch aus dem Bembel.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Gemeindevertretung Dieter Jahn,
im Namen er Gemeindevertretung der Gemeinde Mainhausen und aller Bürgerinnen und Bürger gratuliere ich Ihnen sehr herzlich zu dieser außerordentlichen Auszeichnung durch den Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Sie reihen sich damit in eine Reihe großer Hessen wie Georg Leber, Holger Börner, Walter Wallmann, Ignaz Bubis oder Marcel Reich-Ranicki ein. Die Gemeinde Mainhausen dankt Ihnen für Ihr außerordentliches Engagement und ihre Verdienste um die Demokratie und die kommunale Selbstverwaltung.

Lieber Dieter,
ich persönlich gratuliere Dir, meinem geschätzten Freund und Weggefährten und bedanke mich für eine tolle Zeit, in der ich viel von Dir lernen konnte. Ich hoffe wir werden noch einige weitere Jahre gemeinsam am Wohle der Gemeinde arbeiten. Passend zum Hessischen Verdienstorden möchte ich Dir gerne ein Präsent übergeben, an dem auch Heinz Schenk und Lia Wöhr - zwei weitere, inzwischen leider schon verstorbene Träger des Hessischen Verdienstordens - Gefallen gefunden hätten.

Foto: Erhard Bonifer